(Fortsetzung von Teil 1)
In der Regel kommen wir nur durch eines von drei Ereignissen auf die Idee, uns auf den Weg zur Erleuchtung zu begeben. Entweder wir sind einem spirituellen Meister begegnet, sind mit spirituellem Wissen (Büchern, Videos, Hörbüchern etc.) in Berührung gekommen, oder haben eine spirituelle Erweckungserfahrung gemacht.
Dies heißt aber gleichzeitig, dass wir unterschiedliche Ausgangspunkte für unsere Suche nach der Wahrheit haben.
Für manche steht am Beginn ihrer spirituellen Reise die intellektuelle Auseinandersetzung mit spirituellem Wissen, ohne jedoch auf eigene spirituelle Erfahrungen zurückgreifen zu können.
Andere kommen von der Erfahrungsseite, verfügen aber nur über ein sehr mangelhaftes Verständnis dessen, was sie erlebt haben.
Bis auf die wenigen Ausnahmefälle, die eine wirklich tiefgreifende Erweckungserfahrung gemacht haben, gibt es bei allen somit eine Menge Nachholbedarf. Schließlich verbleibt spirituelles Wissen, das nicht durch entsprechende Erfahrungen gestützt ist, auf dem Level von Überzeugungen bzw. auf dem Level des Glaubens. Und es braucht schon einen sehr starken Glauben, um manchen Schicksalsschlägen standhalten zu können.
Umgekehrt können die meisten unter jenen, die eine Erweckungserfahrung gemacht haben, diese nicht in ihr Weltverständnis einordnen, was bei manchen zu den unglaublichsten Interpretationen, Schlussfolgerungen und Behauptungen führt. Diesen Irrungen kann nur ein besseres Verständnis der eigenen Erfahrung entgegenwirken.
Bei beiden Gruppen, also sowohl jenen, die nur über ein umfassendes spirituelles Buchwissen verfügen, als auch jenen, die nur eine Erweckungserfahrung gemacht haben, besteht die große Gefahr, eine ausgeprägte spirituelle Identität bzw. ein spirituelles Ego zu entwickeln. Und dieses steht der spirituellen Entwicklung massiv entgegen. Für den spirituellen Weg ist es somit unerlässlich, ein tiefes Verständnis dieses Weges zu erwerben und gleichzeitig alles zu tun, um das Verstandene auch zu leben.
Was den Erwerb von spirituellem Wissen betrifft, lohnt sich die Auseinandersetzung mit der indischen Vedanta Philosophie. Sie enthält wahrscheinlich die detaillierteste und ausführlichste Beschreibung der Wirklichkeit unter Berücksichtigung der nicht-dualen Perspektive. Da die höchste mögliche Perspektive eine nicht-duale ist, ist es für den ernsthaften spirituellen Sucher unerlässlich, sich damit zu beschäftigen. Andere spirituelle Traditionen, die zur Nicht-Dualität hinführen, sind z.B. der Sufismus, das mystische Christentum, der Theravada Buddhismus, der Zen Buddhismus, der Taoismus und einige andere.
Für das spirituelle Erwachen und spirituelle Freiheit reicht intellektuelles Wissen allein jedoch nicht aus, sondern nur das gefühlte und verinnerlichte Wissen, dass die eigene Essenz dimensionsloses Gewahrsein ist. Das Wissen muss also assimiliert werden. Hierfür reicht es nicht aus, die Wahrheit intellektuell verstanden zu haben oder sie anderen vielleicht sogar erklären zu können. Wer die Wahrheit nämlich nicht fühlen und nicht entsprechend handeln kann, dem fehlt noch ein entscheidender Schritt. Das gleiche gilt auch für alle jene, die bereits auf eigene spirituelle Erfahrungen aufbauen können, aber immer noch leiden und sich verhalten, wie ein begrenztes und vom Rest der Welt getrenntes Individuum.
Was aber ist notwendig, um das Gelernte oder Erfahrene wirklich verinnerlichen zu können. Auf diese Frage geben uns die Schriften des Advaita Vedanta Auskunft. Laut ihnen stehen uns bei der Assimilation des spirituellen Wissens grundsätzlich 3 Hindernisse im Weg:
- Unwissenheit
- Psychische Zerstreutheit
- Psychische Unreinheit
Für jedes dieser 3 Hindernisse gibt es aber zum Glück ein eigenes Gegenmittel.
Zu 1. Das Gegengift gegen Unwissenheit ist richtiges Wissen. Dieses können wir erwerben, indem wir entsprechende Texte lesen (z.B. die Schriften des Vedanta) oder spirituellen Meistern zuhören, dann über das Gelesene oder Gehörte nachdenken und darüber meditieren. Wahres Wissen hat erreicht, wer keinerlei Zweifel mehr daran hat, dass er nicht das Körper/Psyche-Wesen ist, das er im Spiegel sehen kann, und wer begriffen hat, dass die menschliche Psyche nur ein Instrument ist, bzw. ein Objekt.
Vielen gelingt die Assimilation dieses Wissens aber leider nicht und sie leben so weiter wie immer, haben die gleichen Probleme wie immer und leiden weiter. Der Grund dafür liegt dann darin, dass ihr Geist zu sehr zerstreut ist.
Zu 2. Das Gegengift gegen diese Zerstreutheit sind spirituelle Praktiken wie Meditation, Konzentrationsübungen, Selbsterforschung etc. Vielen gelingt das Meditieren aber ebenfalls nur mehr schlecht als recht, da ihre Psyche bzw. ihr Geist so unrein ist bzw. von zahlreichen Wünschen und Ängsten abgelenkt wird. Die Unreinheit des Geistes wiederum entstammt früheren Konditionierungen, Traumata, Eindrücken und Verhaltensmustern. Unser Geist ist voller Müll, den wir unzensiert über die Sinne in uns aufgenommen haben. An dieser Stelle können dir die Methoden der Spiritual Technology eine große Hilfe sein. Diese oder andere spirituelle Praktiken sollten Teil unseres täglichen Lebens werden.
Zu 3. Das Gegengift gegen diese Unreinheit ist „die Bereinigung des eigenen Lebens“ durch Karma-Yoga*, Liebe zur Wahrheit und sattvigem Verhalten**. Dieser Punkt läuft auf eine ernsthafte Charakter- und Wahrnehmungsschulung (Handeln, Denken, Absicht) hinaus, durch die unsere Begehrlichkeiten und Ängste allmählich verschwinden. Je sattviger unser Geist in diesem Prozess wird, desto leichter fällt uns die Meditation und umso leichter können wir das Wissen um die Wahrheit verinnerlichen.
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Damit du dir aber all die Mühe überhaupt machst, brauchst du eine Erweckungserfahrung bzw. einen Durchbruch, der im Zen Buddhismus als Kensho bezeichnet wird. Während eines Kenshos erfährst du nämlich, dass du „reines dimensionsloses Gewahrsein“ bist. Ein solches Kensho ist selbst dann möglich, wenn du die anderen 3 Punkte noch nicht angegangen hast. Aber für sich alleine nützt dir das Kensho aber leider gar nichts. Damit du den wahren Nutzen aus einem Kensho ziehen kannst, musst du erst noch die anderen 3 Punkte erfüllen. Dies kannst du jedoch im Anschluss an ein Kensho in Angriff nehmen.
Das Problem mit einem Kensho ist nämlich, dass es nur in den seltensten Fällen stark genug ist, um unsere bisherigen Gewohnheiten zu beenden. Für die meisten von uns ist die kurze Berührung mit unserem wahren Selbst nur eine kurze Unterbrechung unseres gewohnten Flusses der objektiven Erfahrungen. Dieser gewohnte Fluss der objektiven Erfahrung kommt jedoch sehr schnell zurück, nachdem wir unser wahres Selbst kurz erfahren haben und zwingt uns in die alten Muster zurück.
Unsere Praxis besteht an dieser Stelle somit darin, immer und immer wieder zur Perspektive des wahren Selbst zurückzukehren. Dies geschieht normalerweise über die Selbsterforschung „Wer bin ich?“ Hierbei kann auch das Satori Protokoll sehr hilfreich sein. Andere Meditationen, bei denen die Aufmerksamkeit auf ein Objekt gerichtet wird, wie z.B. ein Mantra oder den Atem, reichen hier nicht aus. Unser Geist sollte nämlich in seine wahre Quelle bzw. seinen Ursprung zurückkehren. Und unser wahres Selbst kann niemals zu einem Objekt unserer Wahrnehmung werden.
Wenn du der Yoga Tradition folgen solltest, dann bereiten dich die 4 Yogas (Karma Yoga, Bhakti Yoga, Raja Yoga und Jnana Yoga) auf die Erweckungserfahrung, bzw. den Durchbruch, das Kensho vor. Wenn dein Geist dafür bereit ist, kommt die Erweckungserfahrung dann automatisch. Eine solche Erweckungserfahrung ist aber auch dann möglich, wenn dein Geist noch nicht dafür vorbereitet ist. Aber wie gesagt, musst du dann, um den vollen Nutzen aus dieser Erfahrung zu ziehen, danach die anderen 3 vorbereitenden Schritte ausführen.
Du hörst also von der Wahrheit. Du erforschst und überprüfst diese Wahrheit. Dann gelangst du durch die Kombination von Verstehen und Erfahrung allmählich zu Gewissheit, und dann lebst du dein Leben im Einklang mit dieser Gewissheit.
Auf diese Weise werden deine Ängste, deine innere Getriebenheit und dein Gefühl, dass etwas fehlt, allmählich versiegen und immer tieferer Friede wird dein Begleiter sein.
Wie eine Karma-Yoga Praxis aussehen kann, wie die spirituelle Selbsterforschung im Alltag aussehen kann und wie du einen sattvigen Geist erlangen kannst, wird Inhalt zukünftiger Blogbeiträge sein.
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*Karma-Yoga = bei all deinen Handlungen dein Bestes zu geben und dabei nicht auf die Resultate deiner Handlungen zu schielen. Dies bedeutet, die Handlungen um ihrer selbst willen auszuführen, ohne dabei daran zu denken, was sie dir später einbringen werden.
**Sattviges Verhalten ist integres Verhalten. Sattva selbst ist jene Qualität, die die non-duale Wahrheit der Realität sowie deren Eigenschaften (wie z.B. Liebe, Wahrhaftigkeit und Schönheit) am besten widerspiegelt.